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Daniela

Ein zweites Coming-Out. Interview mit Lovis Cassaris über Veganismus und lesbische Sichtbarkeit


Lovis Cassaris wurde 1983 in Süditalien geboren und wuchs in der Schweiz auf. Sie studierte Germanistik, Philosophie und Englische Literaturwissenschaft und promoviert im Moment im Forschungsgebiet der Gender- und Queerlinguistik in Zürich.

Sie veröffentlichte im Jahr 2016 ihren ersten Roman und war Mitveranstalterin einer großen Lesben*Demo in der Schweiz in diesem Jahr.

Du bezeichnest dich auf Twitter als Neu-Veganerin. Wie kam es dazu?

Gerade stelle ich meine Ernährung aus gesundheitlichen Gründen um. Ich lebte in der Vergangenheit drei Jahre lang vegetarisch. Nach einer neuen Fleischphase sehnte sich mein Körper wieder nach mehr Grünem. Da überlegte ich, ob es nicht klüger wäre, gleich auf Vegan umzustellen. Ich hatte mit dem Gedanken schon vor Jahren gespielt, aber damals kam mir die Umsetzung viel schwieriger vor und die veganen Menschen, die ich kannte, waren mir zu dogmatisch. Heute hat es viel mehr tierproduktfreie Alternativen zu klassischen Fleischprodukten in den Läden, und sie sind leichter zugänglich.

Jemand, den ich über Facebook kenne, gab mir noch den Tipp, mir mal den Dokumentarfilm „What The Health“ anzuschauen. Danach war ich inspiriert, aber vieles an dem Film fand ich auch fragwürdig. Und ich hatte weiterhin Angst, mit einer veganen Ernährung nicht genug Proteine zu bekommen. Ich begann, mich ins Thema einzulesen und auf einmal war es für mich irgendwie logisch: Wenn ich Tierleid vermeiden will, bringt Veganismus definitiv mehr als Vegetarismus, und viele Bedenken bezüglich Nährstoffe sind grundlos. Natürlich muss man aufpassen, aber auch Menschen, die tierische Produkte konsumieren, können. z.B. einen B12-Mangel haben. Ich habe das Thema auch mit meinem Hausarzt besprochen. Er ist einer veganen Ernährung gegenüber sehr offen und hat mir gleich einen relativ neuen Artikel dazu mitgegeben.

Welche positiven und negativen Erfahrungen hast du bisher in diesem Punkt gemacht? Wie geht dein Umfeld damit um?

Für mich ist das alles noch relativ neu und fühlt sich ein wenig an wie ein zweites Coming-out. Ich habe etwas Respekt davor und überlege mir sehr gut, wem ich davon erzähle, weil ich mich nicht für meine Ernährungsumstellung rechtfertigen möchte. Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich. Meine Schwester ist etwas skeptisch, hat mir aber kürzlich einen Link für ein neues veganes Portal geschickt, das sie in einer Fernsehwerbung gesehen hat. Meine Mutter reagierte sehr positiv und erzählte mir, dass sie, als ich noch ein Kind war, sogar eine vegetarische Phase hatte. Das hatte ich vollkommen verdrängt! Da ich italienische Wurzeln habe und traditionelle Gerichte, die mit Fleisch bzw. Fisch und Milchprodukten zubereitet werden, in Italien nahezu etwas unantastbar Heiliges haben, hatte ich mich ein wenig vor der Reaktion gefürchtet. Meine Partnerin versucht, sich verständnisvoll zu zeigen, aber es gelingt ihr nicht immer. Sie befürchtet, dass ich sie irgendwann „bekehren“ will oder sie sich meinen Essgewohnheiten anpassen muss. Ein wenig ist es auch „Attitude“, was ich zwar schade finde, aber es beeindruckt mich auch nicht besonders. Sie isst seit Jahren jeden Tag Rührei zum Frühstück. Wenn sie bei mir ist, habe ich sicher Bio-Eier im Kühlschrank, auch wenn ich für mich selbst keine mehr kaufe. Aber ich koche für beide vegan, das ist für mich der Kompromiss. Kein Mensch hält das mit dem Veganismus durch, wenn er es nicht intrinsisch möchte. Ich bin der Meinung, dass auch kleine Gesten wirksam sein können. Wenn eine Person, die normalerweise viel Fleisch ist, den Konsum auf wenige Mahlzeiten pro Woche begrenzt und Bio-Fleisch kauft, ein_e Vegetarier_in ab und zu Mandel- oder Hafermilch kauft, dann ist schon viel getan. Wenn meine Freundin sich also auf eine vegane Mahlzeit mit mir einlässt, ist das schon sehr positiv.

Reaktionen habe ich auch von Veganer_innen erhalten. Es ist mir schnell aufgefallen, dass es Unterschiede in den Ansichten gibt. Ich habe mich mit Veganer_innen unterhalten, die gänzlich auf verarbeitete Produkte verzichten. Andere haben mir geschrieben, ich soll ja keine Ananas, Avocado oder Soja-Produkte kaufen. Wieder andere sehen es relativ locker und geben auch zu, dass die Umstellung für sie nicht leicht war. Die sind mir am sympathischsten, weil sie ehrlich sind. Ich mag Dogmatismus gar nicht, ganz egal ob unter Veganer_innen, in der Religion oder sonst wo.

Denkst du das in der queeren Szene das Thema Tierrechte präsenter ist als außerhalb?

Die queere Szene bietet zumindest mehr Möglichkeiten, sich mit dem Thema Veganismus auseinanderzusetzen. Die meisten vegan lebenden Menschen in meinem Freundeskreis kommen aus der queeren Szene, dazu gezählt auch mein akademisches Umfeld. In den Gender Studies ist es nicht selten, dass bei einem Empfang (z.B. auf einer Tagung) nur vegane Häppchen serviert werden. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn Feminismus und Tierrechtsaktivismus haben eine lange gemeinsame Tradition. Viele Lesben waren von Beginn an an vorderster Front. Feminismus ist per definitionem gegen Ausbeutung und Unterwerfung, warum sollte man folglich nicht auch Tiere mitdenken? Außerdem haben unsere Essensgewohnheiten auch viel mit unserer Vorstellung zu tun, wie ein Mann oder eine Frau zu sein hat. Die Werbung beispielsweise redet uns ein, dass Frauen mehr auf ihre Ernährung achten und vor allem gern an Salatblättern nagen, während echte Männer ein fettes Steak brauchen. Das ist natürlich Blödsinn. Man muss aber bedenken, dass es Feminismus oder queere Szene eigentlich gar nicht gibt. Es gibt unterschiedliche Strömungen und die Menschen, die sich darin bewegen, sind sehr vielfältig. Es gibt also auch karnivore Queere und Feminist_innen. Wenn die Organisation PETA auf ihrer Webseite über die ach so inkonsequenten Feminist_innen schimpft, kann ich nur darüber lachen. Schließlich kenne ich Veganer_innen, die sich nicht als Feminist_innen bezeichnen würden und die bisher nie auf die Idee gekommen sind, sich auch für Frauenrechte einzusetzen. Es gibt ja auch rassistische, homo- und transphobe Veganer_innen.

Ihr habt im April 2018 sehr erfolgreich in der Schweiz eine Lesben*Demo veranstaltet. Denkst du es geht aufwärts mit der lesbischen Sichtbarkeit?

Ich hoffe sehr, dass es besser wird, auch wenn wir immer noch mit Ungerechtigkeiten zu kämpfen haben, die bereits vor hundert Jahren diskutiert wurden. Wenn ich nicht daran glauben würde, dass wir die Welt verändern können, hätte ich die Demo gar nicht mitorganisiert. Die Frage ist, wie nachhaltig unsere Arbeit ist. Die erste Lesbendemo war 1986 in Genf, anlässlich der internationalen Lesbenkonferenz ILIS. Bereits 1981 hatte es auch in Lausanne eine gemischte Schulen- und Lesbendemo gegeben, bei welcher Lesben separat sichtbar aufgetreten waren. Aber wie viele wissen das denn heute noch? Es ist wichtig, dass wir nicht vergessen.

Du hast vor kurzem familiären Zuwachs bekommen in Form eines Hundes. Wieweit hat sich dadurch dein Leben verändert?

Ich bin mit Hunden aufgewachsen, aber Nietzsche ist mein erster eigener Hund, für welchen ich die alleinige Verantwortung trage, und diese alltägliche Angst, dass ihm etwas passieren könnte und er auf mich angewiesen ist, spüre ich sehr gut. Für mich ist Nietzsche wie ein Kind und gleichzeitig mein bester Freund. Er ist absolut notwendig für meine Psychohygiene. Ohne ihn hätte ich, die ich jetzt schon länger auf Stellensuche bin, keine Struktur im Alltag. Ich bewege mich mehr, gehe mit ihm in die Hundeschule und mache Clicker-Training. Dadurch habe ich auch mehr Kontakt mit Menschen. Nietzsche bei mir zu haben, hat vielleicht auch ein wenig bewirkt, dass ich nun auf Vegan umgestiegen bin. Wenn er diese ganze Aufmerksamkeit und ein glückliches Leben verdient hat, dann alle anderen Tiere auch. Aber ich habe bisher noch nicht vor, ihn auch vegan zu ernähren.

Im Querverlag hast du 2016 deinen ersten Roman „Ein letztes Mal wir“ veröffentlicht. Schreibst du aktuell an einem neuen Roman? Wenn ja, vielleicht auch mit einer veganen Hauptfigur?

Ich arbeite häufig an mehreren Projekten gleichzeitig. Gerade schreibe ich an einem Krimi, der in Fribourg spielt. Die Ermittlerin könnte ich mir auch als vegan lebend vorstellen. Bei meinem zweiten Projekt handelt es sich um eine Dystopie. Da bleibt der Menschheit voraussichtlich gar nichts anderes übrig, als sich vor allem pflanzlich zu ernähren. Mehr möchte ich dazu nicht verraten.

Link zum Buch "Ein letztes Mal wir": http://www.querverlag.de/books/Ein_letztes_Mal_wir.html

Welche Vorbilder haben dein Leben geprägt?

Ich habe nicht wirklich Vorbilder, da die meisten Menschen anderen eher eine Zumutung sind. Ich finde aber meine Mutter eine sehr starke Frau, die sich immer für mich eingesetzt hat. So stark wie sie möchte ich auch sein.

Weitere Links:

Fotocredit: Lovis Cassaris

 

Disclaimer: The opinions expressed in this interview are prepared to the interviewee’s and the interviewer’s best capacity and do not necessarily reflect the views and opinions of The Vegan Rainbow Project itself. Please also not that people change and so do their opinions. We kindly ask you to be mindful of that when reading past articles and/ or statements that are referenced in this interview.

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